Wissen wie Sucht wirkt

Beitrag vom 01.02.2016

"EX-IN" - so heißt das sozial-inklusive Projekt, mit dem eine neue Qualität in die Betreuung von psychisch kranken Menschen oder Menschen mit einer Suchterkrankung kommen soll. Dabei werden als so genannte "Genesungsbegleiter" Menschen eingesetzt, die eine ähnliche psychische Erkrankung oder auch Suchtbiografie hinter sich haben wie die zu Betreuenden. "Das besondere an diesem Projekt ist, dass eine Form von Behinderung in eine Qualifikation umgewandelt wird", erläutert Rainer Kah, Soziologe und diplomierter Sozialmanager, der im Vorstand des Vereins "Soziale Inklusion" tätig ist. Der Genesungsbegleiter sei ein "Experte aus Erfahrung" und ergänze durch die besondere Qualifikation das professionelle Team vor Ort.

Er besitze eine Qualifikation, die nicht durch das Studium erlernbar sei. Professionelles Wissen von Betreuungskräften und das Wissen aus eigener Betroffenheit seien gleichwertig anzusehen, würden durch die Mischung erst eine neue Form von Wissen schaffen, sagt der Soziologe.

Ein erster Kurs für Genesungsbegleiter im Lahn Dill-Kreis startet am 27. März. Aktuell liegen bereits 17 feste Anmeldungen vor. Während der einjährigen Ausbildungsphase müssen elf Module und zwei Praktika absolviert werden. Circa 450 Stunden beinhaltet die Ausbildung, bei deren Abschluss die Menschen mit psychischer Behinderung ein Zertifikat erhalten werden. Auch die Kursleitung arbeitet als Team von Profi und Betroffenen. "Inklusiver geht es nicht", sagt Kah.

Im zweiten Projektjahr erfolgt die Einstellung in einer geeigneten Einrichtung. Aktuell gibt es im Lahn Dill-Kreis drei Träger aus dem gemeindepsychatrischen Umfeld, die sich zur Einstellung der Genesungsbegleiter bereit erklärt haben. Neben dem "Haus des Lebens in Herborn" und dem "Stephanus- Werk" in Wetzlar ist es das Haus "Caruso" in Oberscheld, das die solchermaßen Ausgebildeten einstellen will. Das Haus "Caruso" ist ein Wohnheim für mehrfach geschädigte, abhängige Männer und Frauen im Ortskern von Oberscheld. Bei diesen Menschen sind Körper, Geist und/oder Seele oft mehrfach geschädigt. "Mit diesem "double trouble" haben die Menschen oft drei- bis vierfache Sorgen und Problemfelder, sagt Rainer Zech Master im Sozialmanagement und Heimleiter der Einrichtung. 28 Menschen im Alter zwischen 40 und 75 jahren leben - zeitweise - in dieser Einrichtung. Das Betreuerteam besteht aus einem fachlich qualifizierten Team mit Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, Ergotherapeuten und Pflegekräften, die eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gewährleisten.

Der Heimleiter möchte den Genesungsbegleitern zumindest den beruflichen Einstig ermöglichen. Allerdings sei die Finanzierung noch nicht geklärt, eben so wenig der Fachstatus der Genesungsbegleiter, berichtet er." Unser Team hat viele Informationen über kranke Menschen und viele Kompetenzen vermittelt bekommen. Dabei handeln wir aber immer als Gesunde, geben Tipps und Mdikamente, sind aber nie selbst betroffen", sagt Zech. Hier sieht er einen Vorteil bei den Menschen, die zwar nicht das gesamte theoretische Wissen haben, aber beispielsweise wissen, wie eine Sucht wirkt. Man versuche oft, Menschen, die von einer Depression betroffen seien, durch Medikamente und Motivation aus ihrer Antriebslosigkeit zu befreien - ohne zu wissen, wie sich diese Anfühle. Hier könne der Genesungsbegleiter Übersetzungsarbeit leisten, gewissermaßen einen Brückenschlag zwischen Gesunden und Kranken schaffen.

Die Vorteile des "EX-IN" - Projektes liegen auf der Hand. Für Kliniken, Werkstätten, Beratungsstellen und Betreutes Wohnen erschließt sich ein neuer Zugang zu den Menschen, die mit einem ausschließlich professionellen, von außen kommenden Arbeitsansatz schwer zu erreichen sind. Auch eine Stärkung der Qualitätsentwicklung der Einrichtungen wird durch die Einstellung von Genesungsbegleitern und deren Spezial wissen erreicht. Für die Genesungsbegleiter die auf Grund ihrer Biografie oft schwer zu vermitteln sind, bietet die Ausbildung eine berufliche Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ihre Erfahrungen werden wichtig und können beruflich angewendet werden, um anderen Menschen zu helfen. Eine Einstellung von Genesungsbegleitern bedeutet die Umstellung von Stigmatisierung und eine neuen Ansatz bei der psychosozialen Begleitung, erläutert Kah. Das Projekt wurde zwischen 2005 und 2007 in sechs Ländern initiiert. In England wurden die Genesungsbegleiter bereits in vielen Bereichen Erfolgreich eingesetzt sagt Kah. Ein deutsches Modelprojekt in der Universitätsklinik Hamburg- Eppendorf zeigte Erfolg.

Mittlerweile gibt es circa 160 ausgebildete Genesungsbegleiter in Deutschland, etwa die hälfte davon ist in diversen Einrichtungen im Einsatz. Vorausetzung für die Teilnahme am Projekt sei, das keine akkute Krankheit vorliege und der Auszubildende durch Abstand zur psychischen Erkrankung/Behinderung in der Lage sei, zu reflektieren. Dies zeige sich in den Eingangsgesprächen und auch im ersten Projektjahr. Der soziale Verein" Soziale Inklusion" wurde von einem Jahr in Wetzlar gegründet. Er steht den Trägern als Ansprechpartner und Supervisor bei fragen zur Genesungsbegleitung zur Verfügung. Weitere Infos zum Projekt gibt es unter www.soziale-inklusion.info.

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